Das Bensheimer Goethe-Gymnasium hat 142 junge Königsalbatrosse in die Freiheit entlassen

„Sie sind Königsalbatrosse“, rief Schulleiter Jürgen Mescher den Abiturienten des Goethe-Gymnasiums zu und griff bei der Abschlussfeier des Abi-Jahrgangs 2022 am Mittwochabend im Bensheimer Bürgerhaus auf ein Bild zurück, das der Schriftsteller Christoph Ransmayr in seinem Buch „Atlas eines ängstlichen Mannes“ gezeichnet hat. In der Erzählung „Flugversuche“ berichtet er von einem Jungvogel, der sich trotz aller Widrigkeiten der Welt – Krieg, Krisen, Naturkatastrophen… – „mit einem langgezogenen Triumphschrei in eine vollendete Schleife fallen lässt“, um dann „im Sturm ruhig über umbrandete Klippen dahinzusegeln“.

Lebensträume realisieren

In einer bewegenden Ansprache ermunterte Mescher die 142 jungen Frauen und Männer, sie mögen ihre Lebensträume „mit aller Kraft realisieren“ – gleichzeitig ermutigte er sie aber auch dazu, von offensichtlich unerfüllbaren Lebensträumen rechtzeitig Abstand zu nehmen, um nicht am Ende des Lebens die wirklichen Chancen verpasst zu haben und große Ernüchterung zu erfahren. Vom „Goethe“ ausgestattet mit der erforderlichen „geistigen Mitgift“ sei es jetzt unerlässlich, sich nicht dem Gefühl hinzugeben, von der Schule befreit zu sein, „sondern frei für etwas zu sein“: „Sie werden nie wieder so viel Freiheit haben wie jetzt, um den weiteren Lebensweg zu gestalten – nehmen Sie sich diese Freiheit!“

Den möglichen Einwand, die Zeiten seien ja nicht gerade günstig für junge Menschen, wollte der Pädagoge nicht gelten lassen. Er blickte stattdessen am Ende seiner eigenen Berufslaufbahn – Mescher geht zum Ende des Schuljahres in den Ruhestand – zurück auf sein eigenes Leben, um Mut zu machen:

Vietnamkrieg, Terrorismus durch die RAF oder Atomwaffen-Aufrüstung beherrschten die Nachrichten zu der Zeit, in der Jürgen Mescher sein Abitur ablegte. Und trotzdem habe es Freude bereitet, „Utopien zu malen“. Sein persönlicher Lebenstraum „ist es nicht gewesen, Lehrer zu werden“, verriet Mescher schmunzelnd, was er am Tag seiner eigenen Abi-Zeugnis-Verleihung gedacht habe: „Dieser Laden sieht mich nie wieder!“

Und er habe damals nicht nur die Schule gemeint, die er besuchte, sondern den Schulbetrieb ganz allgemein. „Begreifen Sie das Leben als Experiment und betrachten Sie es immer wieder aus der Distanz“, so Mescher: „Wer weiß, wofür Umwege gut sind!“

Der Schulleiter schrieb den jungen Leuten aber auch ins Stammbuch, respektvoll mit anderen umzugehen, wie es dem Geist des „Goethe“ als Europaschule entspreche: „Es gibt keinen Grund, auf andere herabzublicken!“ Meschers weitere (Auf-)Forderung an die jungen Menschen: „Engagieren Sie sich für dauerhafte Freundschaften!“

Zweifel, Tränen – und Spaß

Im Namen der Abiturientinnen und Abiturienten berichteten Esther Gemeinhardt und Eva-Maria Russow von den „Zweifeln und Tränen, aber auch von dem Spaß“, den man zwölf Jahre lang dabei gehabt habe, „am Fundament unseres Lebens zu bauen“. Dabei habe man beispielsweise die wichtige Erfahrung machen dürfen, „dass eine Fünf in Mathe kein Weltuntergang ist, auch wenn sich das in diesem Augenblick so anfühlt“. Zu dem nun erworbenen „stabilen Fundament“ gehören auch Kompetenzen wie das Bilden einer eigenen Meinung, die man dann auch vertreten könne, oder die Erkenntnis, dass es weniger wichtig sei, „auf alles eine Antwort zu haben“, aber viel wichtiger, „die richtigen Fragen zu stellen“. Esther Gemeinhardt und Eva-Maria Russow dankten für Respekt und Wertschätzung, das behütete Lernen und angeleitet werden – und sie stellten optimistisch fest: „Egal, was jetzt kommt, wir wissen, wir dürfen stolz auf uns sein!“

Gänsehaut und viel Jubel

Für bewegende Momente sorgten bei der von Oberstufenleiter Jörg Lienaerts und seinen Kolleginnen und Kollegen perfekt vorbereiteten Abschlussfeier nicht nur die Redner und die Würdigungen von besonderen schulischen Leistungen, sondern auch die musikalischen Beiträge von Chor und Orchester, die zwei Mal auftraten. Und zu einem umjubelten Gänsehautmoment wurde der Beitrag der Abiturientin Karolina Streek, die als Sängerin und Pianistin ihren selbst komponierten Song „Moving on“ präsentierte.