„Es reicht nicht, die Vergangenheit zu rezitieren“
Goethe-Schüler lernen am Ort des Massakers von Marzabotto
„Ich habe so viel Gewalt erlebt, ich will mit Gewalt nichts mehr zu tun haben.“ Dies waren die Worte Cornelias auf die Frage, was sie tun würde, wenn sie den Mördern ihrer Familie gegenüberstünde. Cornelia Paselli verstarb kurz vor ihrem 97. Geburtstag im April dieses Jahres. Sie war eine der letzten Überlebenden das Massakers in den Bergen bei Marzabot-to in der Emilia-Romagna, Italien, wo SS-Soldaten Ende September 1944 mehr als 770 Zivi-listen töteten und ganze Dörfer auslöschten. Nach dem Verbrechen blieb die Region un-bewohnt.
Zehn Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 10 des Goethe-Gymnasiums Bensheim machten sich in der letzten Schulwoche auf, um die NS-Gräueltaten am Ort des Gesche-hens in Italien zu reflektieren. Das Projekt von Geschichtslehrer Stefan Mitze und Lehrerin Natalie Novakova (Politik, Ethik) ist von der Hessischen Staatskanzlei gefördert worden. Die Gruppe lebten fünf Tage in der „Friedensschule Monte Sole“, wo sie von Stiftungsmit-arbeiterin Elena Bergonzini angeleitet wurden. In der Abgeschiedenheit des Apennin-Gebirges in der Nähe von Bologna arbeiteten die Jugendlichen daran, die Folgen dieser Geschehnisse für die Betroffenen, aber auch für die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland nachzuvollziehen, um über die Bedeutung der Vergangenheit für uns heute nachzudenken: Wie war und ist so etwas möglich? Wie kann der Monte Sole zur Gegen-wart sprechen?
Cornelias Weg gehen
SS-Truppen hatten in der Endphase des Zweiten Weltkriegs den Auftrag gehabt, die Regi-on von vermeintlichen Partisanen zu säubern. Dabei wurde die Zivilbevölkerung, nahezu ausschließlich Frauen, Kinder und alte Menschen, auf grausamste Art und Weise ermor-det. Trotz dieser traumatisierenden Gewalterfahrungen widmete Cornelia ihr Leben zu-nehmend dem Gedenken an die Opfer, indem sie als Zeitzeugin für internationale Jugend-gruppen zur Verfügung stand.
Die englischsprachigen Workshops auf dem Monte Sole beleuchteten deshalb nicht nur die Lebensumstände der früheren Bewohner der italienischen Bergregion sowie die histo-risch-politischen Hintergründe des Massakers, sondern ermöglichten den Schülerinnen und Schülern darüber hinaus, einzelne Schicksale der Menschen vor Ort auf eindrückliche Weise nachzuvollziehen. So etwa Cornelias dramatische Flucht: Die jungen Bensheimer standen an der Kirche, in welcher sie vergeblich Schutz gesucht hatte und sich versteckte, sie liefen den gleichen Weg im Wald, sie standen vor der Wand, an der Cornelias Mutter starb.
Mit Hilfe ihrer Erkenntnisse und Erfahrungen konzipierten die Zehntklässler zum Ab-schluss einen Workshop für 35 Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums, welche sich zeitgleich in Brisighella zu einer Bildungsreise mit sprachlich-kulturellem Schwerpunkt aufhielten und zu einem Tagesbesuch auf den Monte Sole kamen, um vor Ort von ihren Mitschülern zu lernen – ganz im Sinne des Mottos der Friedenschule: „Wenn man nicht will, dass sich die Vergangenheit wiederholt, reicht es nicht, sie zu rezitieren“.