Messingplatten erinnern an die Vertreibung der jüdischen Familie Rohrheimer durch die Nationalsozialisten

Stolpersteine in der Rheinstraße verlegt

Stolpersteine Lorsch (1)„Ich lege an allen Gedenksteinen für jedes Opfer eine Blume ab“, sagte Gisela Steines vom Vorstand des Heimat- und Kulturvereins und streute weiße Blütenblätter auf die Stolpersteine, in denen die Namen von Eduard Rohrheimer und seiner Tochter Erna eingraviert sind. Erst wenige Minuten zuvor hatte der Kölner Künstler Gunter Demnig die kleinen quadratischen Messingplatten in den Bürgersteig vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der Familie Rohrheimer in der Rheinstraße 4 eingelassen. Seit 1996 hat Demnig in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus mehr als 75 000 Steine deutschland- und europaweit verlegt.

Erfreulich viele junge Menschen wohnten der sechsten Stolperstein-Verlegung in Lorsch bei – was üblicherweise durchaus ungewöhnlich ist, in diesem Fall aber dennoch nicht weiter erstaunlich war. Schließlich waren es Schüler der Geschichtswerkstatt des Goethegymnasiums in Bensheim, die beharrlich in alten Schulakten und auf Internetportalen zur Ahnenforschung das Schicksal jüdischer Schülerinnen und deren Familien, die vor dem Naziregime geflohen waren, die deportiert oder ermordet wurden, recherchierten. Das Erinnerungsprojekt mit der Verlegung von Stolpersteinen hat die Schulleitung mit Patenschaften finanziert.

Stolpersteine Lorsch (3)Oberstufenschüler Cedric Gebhardt aus Lorsch war es, der akribisch und mit viel Geduld den Lebensweg der früheren Schülerin Erna Rohrheimer nach der Flucht mit Vater Eduard im Jahr 1938 in die USA nachzeichnete und deren nächste Angehörige ausfindig machte. Daraus ist ein enger Kontakt zwischen dem Schüler und dem Enkel von Erna Rohrheimer, Marc Kaman, entstanden. Dieser war mit seiner Ehefrau Jo Buyske aus Philadelphia angereist, um bei dem denkwürdigen Tag dabei sein zu können. Auch Bürgermeister Christian Schönung, Altbürgermeister Klaus Jäger, Staatssekretär a. D., Professor Joachim-Felix Leonhard, Schulleiter Jürgen Mescher, Projektbetreuer Florian Schreiber sowie Mandatsträger waren in die Rheinstraße gekommen. Vor der emotionalen Zeremonie gab es einen Empfang e im Rathaus.

Thilo Figaj vom Heimat- und Kulturverein unter dessen Federführung die Stadt die Stolpersteine für ehemalige jüdische Nachbarn verlegt, ging auf die Wurzeln der Familie Rohrheimer ein, die sich bis 1685 zurückverfolgen lassen und ihren Ursprung in Rohrheim und Lampertheim haben. Es handelt sich, so Figaj, um die älteste jüdische Familie von Lorsch, deren Stammsitz in der Stiftstraße war.

Eduard Rohrheimer, der Vater von Erna – ursprünglich ein Viehhändler –, führte ab 1911 zusammen mit seiner früh verstorbenen Ehefrau Jenny ein Woll- und Kurzwarengeschäft in der Rheinstraße, in dem die einzige Tochter oft aushalf, auch sonntags nach dem Kirchgang. Erna (1912-1995) war eine „waschechte Lorscherin“ und in neunter Generation das letzte am Ort geborene Mitglied.

Nach dem Tod der Ehefrau und Mutter und der Zwangsversteigerung des Hauses gelang Eduard und Gertrud Rohrheimer im September 1938 – sechs Wochen vor der Pogromnacht – die Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Das Gebäude in der Rheinstraße, das Eduard Rohrheimer 1911 von der Familie Jäger erworben hatte, ging nach dessen Ausreise erneut in den Besitz der Jägers über.

Cedric Gebhardt berichtete

Stolpersteine Lorsch (2)Mucksmäuschen still war es, als Cedric Gebhardt über Höhen und Tiefen im Leben von Erna Rohrheimer berichtete. Die jüdische Schülerin besuchte von 1937 bis 1938 die „Höhere Töchterschule“ in Bensheim, das heutige Goethe-Gymnasium. Die Flucht von Vater und Tochter auf dem Passagierschiff St. Louis dauerte vom 28. September 1938 bis zum 9. Februar 1939. Nach ihrer Ankunft in New York wurde sie als amerikanische Staatsbürger anerkannt und reisten weiter nach Germantown, einem Stadtteil von Philadelphia.

Existenznöte und schwere körperliche Arbeit in einer Holzlackiererei im Hafen von Philadelphia prägten das Leben von Eduard Rohrheimer in der neuen Heimat. Er lebte, so der Schüler, unterhalb der Armutsgrenze und starb völlig verarmt. Erna heiratete 1940 den ehemaligen US-Soldaten Kurt Meyer aus Frankfurt und nahm den Namen ihres Ehemannes an. Das Paar hatte eine Tochter.

Erna Meyer, geborene Rohrheimer, starb 1995 in Alter von 82 Jahren in Philadelphia. Ihr einziger Enkel Marc Kaman lebt bis heute in der amerikanischen Großstadt. Er hat eine Tochter und eine Enkelin. gs