Monumentale Inszenierung von „Kleine Götter“ begeisterte das Publikum

Krisenstimmung auf der Scheibenwelt

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Schultheater vom Feinsten bietet das neue Stück des Goetheaters am Bensheimer Goethe-Gymnasium: Das Ensemble zeigt ein monumentales Fantasy-Märchen, das eine literarische Vorlage zum Anlass nimmt, um eigene Handlungsstränge und Dialoge einzubauen.

Die Ausstattung ist prunkvoll, die Dramaturgie ebenso bildstark wie komplex und bei allem immer schlüssig strukturiert. Dazu leidenschaftlich gespielt und textsicher ins Finale gebracht. Eine Inszenierung, die am Wochenende von einem begeisterten Publikum gefeiert wurde.

Geschichte des Gottes Om

„Kleine Götter“ heißt das fast dreistündige Bühnenepos, das auf Terry Pratchetts „Einfach göttlich“ aus dem Jahr 1992 basiert und die Geschichte des Gottes Om und seine Beziehung zum Reformer und Propheten Brutha erzählt. Die Story entfaltet sich um eine junge Novizin (Brutha), die unerschütterlich den Geboten ihres großen Gottes folgt – bis sie ihn tatsächlich trifft.

Doch Om steckt in einer massiven Krise, die nicht nur sein Dasein bedroht, sondern auch die Welt der jungen Brutha auf den Kopf stellt: Ihr ganzer Glauben und das sorgsam konstruierte Weltbild drohen während einer abenteuerlichen Reise durch die Wüste den Bach runterzugehen. Synchron dazu setzt der Exquisitor Vorbis alles daran, um ein geheimnisvolles verbotenes Buch den Flammen zu übergeben.

Wunderbare Parodie

Torsten Weis (Text, Regie) hat Pratchetts Story als Steilvorlage genommen, um eine wunderbare Parodie auf Götter und Philosophen, Weltbilder und Religionen zu entwerfen, bei der es allerhand zu entdecken gibt. Pointiert ausgarniert mit etlichen Zitaten und Verweisen aus Wissenschaft, Literatur und Mythologie.

Klassische Antike, Mittelalter und Aufklärung prallen aufeinander und ergeben eine humorvoll theatralische Abhandlung mit dem beinahe kompletten Personal der abendländischen Kulturgeschichte. Allein die Zeichnung der Figuren gelingt vortrefflich.

Anleihen an Philosophen

Die Novizin Brutha lebt und atmet für ihre Religion. Der rhetorisch linkshändige Legionär Appolonoris will der schönen Helena seine Liebe gestehen. Leonard existiert allein für die Erkenntnis und die Wissenschaft. Die Söldnerin Simony lebt grundsätzlich in den Tag hinein und der uralte Barbarenkönig Cohen verhandelt tapfer mit dem Tod. Der Zuschauer wird in ein faszinierendes Paralleluniversum entführt, in dem vieles fremd, manches aber sehr vertraut wirkt.
Wissenschaftliche Aspekte wie die Quantenphysik, ein grassierendes Rock’n’Roll-Fieber in wilder Bühnen-Choreographie sowie Anleihen an Philosophen („Die Hölle, das sind die anderen“) und Shakespeare-Motive machen das Stück zu einem energiegeladenen Trip für neugierige Kugelbewohner aus der irdischen Gegenwart, die gerne einmal auf dem Rücken einer Schildkröte neue Erkenntnisse kennenlernen.

Die Inszenierung ist eine gelungene Satire, die Grundsätzliches verhandelt, verfremdet oder ins Monumentale übersteigert. Da wäre Cohen der Barbar, der den Göttern – schließlich ist er der Urururenkel von Prometheus – das gestohlene Feuer zurückbringen möchte. Mit Zinsen, versteht sich. Doch mit seinem sperrigen Übergepäck, ein Fass auf dem Rücken, nimmt ihn Gevatter Tod nicht mit. Der Sensenmann ist, wie immer bei Pratchett, ein Typ, mit dem man durchaus reden kann: Etwas bürokratisch verengt zwar, aber nicht ohne eine gewisse Sympathie.

Gleichzeitig plant der Glaubensfanatiker Vorbis einen Überfall auf den Stadtstaat Ephebe. Im demokratischen und philosophischen Zentrum der Scheibenwelt sieht er die Wurzel allen Unglaubens, die es zu vernichten gilt. Der ephebische Regierungssitz ist allerdings durch ein fallenreiches, extrem kompliziertes Labyrinthsystem geschützt und eigentlich uneinnehmbar.

Mit Bruthas Hilfe neutralisiert Vorbis das Labyrinth, erobert die Stadt und gelangt in die Bibliothek. Dort will er Didaktylos, den Verfasser des ketzerischen Werks „Die Schildkröte bewegt sich“, aus dem Weg räumen. Hier spiegelt sich der Widerspruch zwischen dem Weltbild des Ptolemäus und dem von Nicolaus Copernicus beziehungsweise des Galileo Galilei. Eine Welt, die ins Wackeln gerät.

Noch drei Aufführungen

Ganz anders das Goethe-Ensemble, das sowohl in kleinen Szenen wie auch in Monologen und kollektiven Tanz-Performances („Africa“) überzeugen kann. Langer Applaus in der voll besetzten Mensa, wo das Stück nochmals am 14., 15. und 16. Februar aufgeführt wird. Freitag und Samstag um 19 Uhr, Sonntag um 18 Uhr. Das Spiel ist geeignet für Zuschauer ab neun Jahren. Aus fast allen Klassenstufen stehen Schüler sowie einige Lehrer auf der Bühne.

© Bergsträßer Anzeiger, Mittwoch, 12.02.2020