„Goethe liest Lieblinge“ im Glaubach:
Steve Jobs, Zuna und Morgenstern zum Kaffee serviert
Sie lasen und tranken am Teetisch: Heinrich Heine hätte es sicher gefallen, dass für die Lesungsreihe zum 150. Schuljubiläum des Goethe-Gymnasiums der Oberstufenkurs Deutsch von Ute Ritter seine Bücher im Café Glaubach aufschlug, herzlich begrüßt von Chefin Christina Glaubach, die in bester Kaffeehaus-Tradition Platz für eine literarische Stunde in ihrem Haus geschaffen hat: Wien, Zürich – und Bensheim eben.
Im heimeligen Ambiente trugen die Schülerinnen und Schüler ganz unzensiert ihre Lieblingstexte vor, denn solche sollen es gemäß dem Motto der Jubiläumsreihe sein. Mit welcher Literatur beschäftigen sich Sechzehnjährige heutzutage eigentlich, wenn nicht gerade Schullektüre ansteht? Tun sie es überhaupt, so der Generalverdacht? Und, siehe da, das Programm war eine echte Überraschung: eine sehr vielfältige, ungewöhnliche und überlegte Auswahl von Texten jeglicher Art wurde da vorgelesen – darunter erstaunlich viel Nachdenkliches und Existenzielles. Kurze Gedanken von Steve Jobs über den Tod schlugen bei den Zuhörern ein ebenso wie Ethan Hawkes „Regeln für einen Ritter“ zum selben Thema und wechselten, herrlich schräg, in den Science-Fiction-Schmöker „Duell im Weltraum“ vor die Entscheidungsschlacht. Zeit war immer wieder Thema, ob in „Momo“ oder der Autobiografie des Rappers Zuna, der seinerseits, Verblüffung!, in Homers „Odyssee“ liest. Anrührend und doch sprachgewaltig kam auch die deutsche Version von Amanda Gormans legendärem Gedicht „The Hill We Climb“ daher, geistreich und witzig Daniel Kahnemanns Ausführungen über das menschliche Denken, die die Zuhörer zum Lachen brachten – und ihnen den Appetit auf Bananen vermutlich für einige Zeit verdorben hat. Dafür wird so mancher Lust bekommen haben, da und dort nachzulesen. Vielleicht auch noch einmal bei Kehlmann, der so genial witzig die Welt vermessen und dabei auf den Kopf gestellt hat.
Nach fünfzehn Stücken gab es „Fisches Nachtgesang“ von Christian Morgenstern als stumme Zugabe (Fynn Schmitt malte das Typogramm in die Luft), viel Lob aus dem Publikum, das, Zufall oder nicht, an diesem Nachmittag komplett weiblich war, und die Einladung von Christina Glaubach, doch gerne wiederzukommen, denn „Die literarische Stunde“ geht nach der Sommerpause weiter: „Dichter der Bergstraße“ rezitiert dann Berthold Mäurer am 29. September.